Um meine eigene Zukunftsprognose für die Alternativkultur in Luzern zu formulieren, habe ich mit verschiedenen Personen gesprochen, welche mit alternativer Kultur zu tun haben. Mit ihren Antworten und meiner rückblickenden Analyse konnte ich dann eine eigene Prognose entwerfen.
Aus Sicht der Stadt
Ich habe Christine Portmann, der Verantwortlichen für die Förderung von Kultur und Sport der Stadt Luzern, Fragen zur Zukunft der Alternativkultur in Luzern gestellt. Sie meinte, dass es immer wieder neue Formen von „Alternativkultur“ geben würde und dass für den heutigen Betrachter die damalige „Alternativkultur“ vielleicht schon zu etabliert war. Sie war zudem der Ansicht, dass es wichtig sei, dass auch künftig Orte zur Verfügung stünden, wo kulturelle Vielfalt entstehen könne, um einen niederschwelligen Zugang zur Kultur zu ermöglichen. Christine Portmann schrieb, dass solche Orte in der Stadt immer wieder zu finden seien und dass an die Gesellschaft appelliert werden müsse, solche Orte aufzuspüren und neue Dinge auszuprobieren. Die Kulturförderung versuche, mittels ihrer Förderformaten und ihrer neuen Kulturstrategie „Kulturagenda 2030“ genau dies zu erreichen. Die Schwerpunkte der Kulturagenda 2030 lauten: Kulturelle Teilhabe, Kulturelle Vielfalt und Kulturraum.
Quellen
Interview mit Christine Portmann via E-Mail [07. Juni 2023]

Ebenfalls habe ich Fragen an die Vorgängerin von Christine Portmann, Rosie Bitterli Mucha, gesendet. Sie war der Ansicht, dass weder die Stadt noch die öffentliche Hand die Alternativkultur „organisierten“, sondern dass diese durch private Initiativen von Künstlerinnen und Künstlern und Kulturschaffende entstünde. Da die Stadt und die Bevölkerung immer weiterwachsen und diverser würden, würde es neue Angebote und neues Publikum geben. Sie glaube fest daran, dass diese jüngere, wenig institutionalisierte, spontane Kultur auch künftig ihren Platz in der Stadt haben werde, aber dass dieser natürlich nicht in einem Radius von 500 Metern um den Bahnhof Luzern zu haben sei.
Quellen
Interview mit Rosie Bitterli Mucha via E-Mail [14. Juni 2023]
Förderung der Stadt: Früher im Vergleich zu heute
Rosie Bitterli Mucha schrieb, dass es vor 50 Jahren praktisch keine Förderung dieser Kulturangebote gegeben habe. Mit der neuen Verwendung der Billettsteuer ab 1990 seien Mittel für die Förderung vorhanden gewesen; im Vergleich zu den grossen Institutionen aber deutlich zu wenig. Die Förderung würde nun leider stagnieren, und währenddem neue Infrastrukturen und Räume entstanden seien, hätten die Betriebsmittel mit Angebot und Nachfrage nicht Schritt halten können.
Christine Portmann schrieb, dass die „alternative“ Kultur heute wie jede andere Kultursparte auch gefördert werden würde. Die Förderung erfolge mittels finanzieller Beiträge für kulturelle Produktionen oder Veranstaltungen aus dem FUKA-Fonds, welcher die Förderung und finanzielle Unterstützung künstlerisch-kultureller Aktivitäten bezwecke, sowie mittels Jahresbeiträge an Institutionen oder Programme, mittels Leistungsvereinbarungen mit Kulturhäusern und Festivals sowie mittels Ausschreibungen. Zudem schrieb sie, dass die Stadt Luzern Zwischennutzungsräume (Immobilien und Plätze) für kulturelle Entwicklungen zur Verfügung stelle oder Unterstützung leiste für günstige Probe- und Atelierräume.
Quellen
Interview mit Rosie Bitterli Mucha via E-Mail [14. Juni 2023]
Interview mit Christine Portmann via E-Mail [07. Juni 2023]
Aus Sicht von Vertretenden weiterer Organisationen der Alternativkultur
Ich habe mit Francesca Blachnik, Projektleiterin von «Unterdessen» und Co-Geschäftsleitung von «Temporär» (Anlaufstelle für Zwischennutzungen in der Zentralschweiz) gesprochen. Sie meinte, dass es immer weniger Platz in der Stadt gäbe und alternative Kultur deshalb immer mehr in die Agglomeration gedrängt würde. Ausserdem würde es auch allgemein immer schwieriger werden, freien Platz zu finden. Deshalb seien Zwischennutzungen natürlich eine gute Lösung.
Quellen
Interview mit Francesca Blachnik [12. Mai 2023]
Ausserdem habe ich Fragen an Eugen Scheuch gesendet. Er war in den Jahren 2001 bis 2007 im Kulturzentrum Boa für Konzertveranstaltungen zuständig. Nach der Schliessung der Boa zog er nach Prag und eröffnete ein Kulturlokal namens Pilot. Heute arbeitet er in Genf als Konzertveranstalter bei Post Tenebras Rock im alternativen Kulturzentrum Usine. Er schrieb, dass alternative Kultur seiner Meinung nach eminent wichtig für den gesellschaftlichen Fortschritt sei, da sie auch Teil einer Gegenkultur gegen die herrschenden Macht- und Gesellschaftsverhältnisse sei und versuche, ein anderes Leben aufzuzeigen und eine Perspektive zu bieten. Ausserdem habe sie einen grossen Einfluss auf die Mainstreamkultur und werde häufig vom Mainstream aufgesogen, so zum Beispiel beim Hip-Hop, Punkt, Grunge oder in der Bildenden Kunst. Er meinte, dass es primär an den Menschen liege, die Alternativkultur in Luzern weiterzuentwickeln und zu entscheiden, welche Priorität diese einnehme. Ebenfalls schrieb er, dass es aber sicherlich nicht einfacher werde, Freiräume zu finden, da Luzern nicht über eine Vielzahl an leerstehenden Industriebauten verfüge.
Quellen
Interview mit Eugen Scheuch via E-Mail [04. September 2023]

©null41_Sara Furrer
Aus meiner Sicht
Anfangs war ich überzeugt davon, dass es immer weniger alternative Kultur in Luzern geben würde. Nun aber bin ich nach meinen Gesprächen und meiner Recherche zu einer anderen Meinung gekommen. Ich persönlich denke, dass die Prognosen meiner Interviewpartnerinnen und -partner eintreffen werden, dass die alternative Kultur auf jeden Fall immer irgendwo Platz finden wird und sich entwickeln kann. Aber ich bin auch der Meinung, dass der Platz vor allem im Zentrum der Stadt immer knapper wird und ungenutzte Standorte wie ehemalige Industrieareale immer schwieriger zu finden sein werden. Deshalb denke ich, dass die alternative Kultur immer mehr in die Agglomeration gedrängt wird. Auch die vielen unterschiedlichen Nutzungsansprüche, welche es in einer Stadt gibt, also zum Beispiel Konzerte und Partys versus ruhigen Wohnraum, führen zu Konflikten, in diesem Beispiel unter anderem wegen Lärm, mit der Konsequenz, dass die alternative Kulturszene vermehrt aus dem Zentrum verdrängt wird.
Ich finde die Kulturagenda 2030 der Stadt sehr vielversprechend und bin der Ansicht, es ist wichtig, dass die Stadt irgendwo auch Platz für alternative Kultur zur Verfügung stellt. Trotzdem denke ich, dass da ein Abwägen nötig ist, wie viel sich die Stadt einmischen soll, denn ich finde, dass alternative Kultur auch von diesem Freien und Unabhängigen lebt und dies sie auch ausmacht. Ich bin aber fest überzeugt, dass - solange es eine vielfältige Gesellschaft gibt - es auch immer eine vielfältige Kultur in Luzern geben wird!
Kurzvideo aus dem Neubad
Um zu verdeutlichen, warum alternative Kulturorte in einer Gesellschaft so bedeutsam sind und warum das Neubad solch ein einmaliger Ort ist, habe ich ein Video aus Clips verschiedener Personen zusammengeschnitten, welche sich zum Neubad äussern. Dazu bin ich an einem Abend ins Neubad gegangen und habe insgesamt acht Personen an drei verschiedenen Tischen aufgenommen und sie danach gefragt, warum sie gerne ins Neubad kommen, beziehungsweise was ihnen am Neubad gefällt.